column: laut gedacht – Depression

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Eine Depression ist eine ernstzunehmende Krankheit & das ist meine Geschichte:

Es fühlte sich jedesmal an wie ein Marathon. Der Weg ins Bad um zu Duschen oder in die Küche um mir etwas zu Essen zu kochen. Ich war dauerhaft müde, unmotiviert, kraft- und freudlos und irgendwann wollte ich nicht mal mehr aufstehen. Wenn ich abends zu Bett ging und an den nächsten Arbeitstag dachte, zog sich alles in mir zusammen. Meine Hände begannen zu zittern, mein Herz raste – eine Panikattacke jagte die nächste. Dass mit mir etwas nicht stimmte, war unumstritten. Dennoch sprach ich nicht darüber und behielt meine Gefühle für mich. Ich hatte Angst. Angst vor dem, was da gerade Unbekanntes mit mir geschah, Angst vor Erklärungen und vor allem Angst davor, nicht verstanden zu werden. Irgendwann war ich nicht mal mehr traurig. Irgendwann fühlte ich einfach gar nichst mehr. Es war wie ein nie endender Graufilm.

Das Gespräch mit meinem damaligen Arzt dauerte ganze fünf Minuten, ehe er mich für drei Wochen wegen eines geschwächten Immunsystems und einer Schilddrüsenunterfunktion krank schrieb. Auf meine Befindlichkeiten ging er kaum ein. Ich glaube, er hatte mir nicht mal richtig zugehört. Den größten Teil dieser drei Wochen verbrachte ich mit Schlafen. Ich fühlte mich nach dieser Zeit zwar nicht besser, ging aber dennoch wieder zur Arbeit…

»Du simulierst doch nur!«
»Jetzt reiß dich mal zusammen!«

»Lach doch mal! Dann geht’s dir direkt besser!«
»Die hat doch einfach nur keinen Bock zu arbeiten!«
»Aufmerksamkeit! Sie will einfach nur Aufmerksamkeit!«
»Du musst dich nur einfach mal wieder anständig ausschlafen!«
»Manche müssen mit weitaus schlimmeren Problemen kämpfen!«

Das ist nur ein Bruchteil der Aussagen, mit denen ich nach meinem Wiedereinstieg kämpfen musste. Anstatt auf mich zuzugehen wurde ich im Stich gelassen. Schlimmer noch, meine Kollegen fingen an mich zu mobben. Es bildeten sich Grüppchen, die tuschelten sobald ich den Raum betrat. Die mich ausschlossen, wenn es um die Pausenplanung ging. Die Gerüchte über mich in die Welt setzten und mich über die sozialen Netzwerke attackierten. Ich bekam die schlimmsten Hassnachrichten und meine Panikattacken häuften sich. Es fühlte sich an wie ein Tribunal, als ich im Mittelpunkt eines Stuhlkreises stand und meine soziale Kompetenz und (angebliches) Fehlverhalten an einem Flipchart von einem Konfliktmanager analysiert und ich mit Vorwürfen bombardiert wurde. Mein Ausbilder hatte diese “Besprechung” organisiert und anstatt mich zu unterstüzten, reihte er sich mit seiner Schikane in den Kreis meiner Verachter ein.

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Ich war krank & keiner hat es gesehen. Nicht mal ich selbst.

Als ich am tiefsten Punkt angelangt war, begann ich endlich zu reden. Ich erzählte meiner Mutter von den vergangenen Wochen, der Schikane, meinen Panikattacken und meinem dunkelsten Gedanken, den ich inzwischen gefasst hatte: mein Leben zu beenden. Dann wurde endlich eine Vermutung ausgesprochen:

Depression.

Sie sollte sich bestätigen. Es folgten unzählige Gespräche und Telefonate. Ich wurde erneut krankgeschrieben, ein Facharzt wurde ausfindig gemacht, Therapeuten gesucht. Die verschriebenen Tabletten durfte ich nur unter der Aufsicht meiner Eltern einnehmen. Obwohl ich unter ständiger Beobachtung stand war ich froh, dass ich nicht mehr alleine war. Zu lange hatte ich versucht, mich alleine durchzuschlagen und dann schließlich doch die Reißleine gezogen, als ich merkte, dass ich es alleine nicht mehr schaffte. Dass ein Suizid meine seelischen Schmerzen zwar beenden, meinen Eltern, die ich über alles liebte, jedoch den Boden unter den Füßen wegreissen würde.

*

Eine ambulante Therapie anzutreten war der richtige Schritt. Ich konnte mich meiner Therapeutin – wenn auch langsam – öffnen und wir gingen dem Auslöser und dem Ursprung gemeinsam auf den Grund. Die Gespräche und Analysen haben mir geholfen, mit verschiedenen Situationen wieder besser zurecht zu kommen und einen Weg für mich zu finden. Klar, es gibt noch heute Stolpersteine die mich manchmal ins Straucheln bringen, aber ich bin gefestigter als vor 7,5 Jahren.

Ich war damals 17 Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt war ich der festen Überzeugung, dass eine Depression Menschen in meinem Alter nicht betreffen würde. Ich wurde eines Besseren belehrt. In den letzten Jahren habe ich mich oft mit dem Thema auseinandergesetzt. Depressionen werden zwischenzeitlich schon als Volkskrankheit bezeichnet und gesellschaftlich trotzdem noch nicht als Krankheit akzeptiert. Es ist traurig aber wahr. Es gibt immer noch Menschen, die diese Krankheit nicht ernst nehmen oder Betroffene mit Verleugnungstendenz – oftmals aus Angst oder Scham. An einer Depression zu leiden ist jedoch nichts, wofür man sich schämen muss!

Der Depressionsgrad, die Symptome und auch die Behandlung sind bei jedem unterschiedlich. Jeder von uns hat emotionale Phasen, die runter ziehen und müde machen. So lange diese Phasen nach kurzer Zeit wieder vorrüber sind, muss das auch nichts beunruhigendes sein. Anhaltende Überforderung, innere Leere und Freudlosigkeit sind jedoch oftmals Anzeichen dafür und sollten auf keinen Fall unterschätzt werden. Wenn ihr davon betroffen seid, an Depressionen leidet oder die Vermutung habt, lasst euch bitte, bitte helfen! Wenn es im ersten Schritt leichter fällt, vertraut euch einer Person an, mit der ihr gut sprechen könnt. Bedenkt aber bitte: ein Laie ist keine Dauerlösung. Lasst euch nicht unter Druck setzen und setzt euch selbst nicht unter Druck. Die Behandlung und Regeneration bedarf Zeit und Geduld… Und merkt euch: Hilfe anzunehmen ist keine Schwäche!

Deutsche Depressionshilfe: www.deutsche-depressionshilfe.de
Hilfe für Angehörige: Direktlink

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11 Kommentare

  1. Scarlet
    19. November 2017 / 12:34

    Das hätte genauso gut ich schreiben können. Mit dem Unterschied, dass für mich weder die professionelle Hilfe hilfreich war (im Gegensatz), noch meine Familie. Meine Familie war der Meinung, dass ich selber dran schuld bin, dass es mir „Spaß macht“, so zu sein (buchstäblich so gesagt), und dass ich nur Aufmerksamkeit will.
    Mittlerweile aber hab ich eins mitgenommen aus der professionellen Hilfe, und zwar dass es okay ist, sich von Menschen oder auch Familie zu distanzieren, wenn diese dir nicht gut tun. Und man diese 0815 Sätze bestmöglich ignorieren soll.
    Auch hat mir ein Fremder beigebracht, mehr als alle anderen, wofür es sich zu leben lohnt. Sometimes life is scary and dark, that is why we must find the light 🙂

    • Leni
      Autor
      19. November 2017 / 13:30

      Liebe Scarlet, es tut mir wirklich sehr leid, dass du von deiner Familie keine Unterstützung erhalten hast. Gerade die Familie ist in solchen Momenten doch SO wichtig! Aber wie du schon sagst: es ist ok seinen eigenen Weg zu gehen. Ich wünsch dir alles, alles Gute :‘)

  2. Nicole
    20. November 2017 / 9:33

    Ich hätte niemals gedacht, dass ein so positiver und glücklich wirkender Mensch wie du, tatsächlich an dieser Krankheit erkrankt ist. Du strahlst immer so schön, hast eine so positive Aura – da sieht man mal wieder, wie schnell man sich täuschen kann.
    Ich finde es ganz großartig, wie du deine Geschichte mit uns teilst, ohne den Eindruck zu erwecken, Mitleid kriegen zu wollen. Das ist es ja oftmals, was Leute in solchen Texten sehen.
    Liebe Leni, vielen Dank für diese Kolumne. Ich hoffe, sie öffnet manchen Menschen die Augen, so wie sie mir gerade durch mein Erstaunen ein wenig die Augen geöffnet hat. Mach bitte weiter, mit deinen Laut gedacht-Kolumnen…

    • Leni
      Autor
      21. November 2017 / 11:08

      vielen Dank für dein liebes Feedback 🙂

  3. Julia
    21. November 2017 / 10:12

    Einfach nur DANKE!

    • Leni
      Autor
      21. November 2017 / 11:07

  4. Anonym
    21. November 2017 / 11:21

    lena, es tut mir leid. ich möchte nicht sagen wer ich bin, du kennst mich, ich war eine deiner kollegen. ich habe jetzt lange mit mir gehadert und überlegt, ob ich überhaupt was dazu sagen soll und jetzt schäme ich mich… ich hoffe du kannst mir/uns irgendwann verzeihen.

  5. 25. November 2017 / 15:52

    liebe Leni,
    Das ist so ein toller, ehrlicher Beitrag, der mich grade so sehr gepackt hat, dass ich dich am liebsten mal fest drücken würde! Ich kenne das Gefühl der Depression leider selbst und obwohl es bei mir wohl nicht annähernd so schlimm war, fühle ich mit dir!
    Das Schlimme ist, dass man so lange braucht, um zu akzeptieren, dass man krank ist. Andere verstehen das nicht und ich kenne diese Sprüche, die dann alles noch schlimmer machen.

    Ich wünsche dir alles Gute und dass du nie wieder damit kämpfen musst!

    Ein wundervoller Beitrag, der sicher vielen helfen wird!

    Liebst <3
    Alena
    lookslikeperfect.net

    • Leni
      Autor
      27. November 2017 / 6:35

      Danke, liebe Alena! Tja, die Einsicht fällt oftmals am Schwersten…
      Das wünsche ich dir auch & fühl dich gedrückt ♥

  6. 8. Dezember 2017 / 3:04

    Du schreibst mir aus der Seele. Ich kaempfe seit ca. 15 Jahren mit Depressionen. Seitdem ich ausgewandert bin hatte ich jetzt dank Klima (USA Suedstaaten = lange Sommer, viel Sonne, kurze milde Winter) und kompletter Lebensumstellung knapp vier Jahre Ruhe, bevor es mich wieder erwischt hat. Seit 3 Monaten nehme ich wieder niedrig dosiert Fluoxetin und es hilft mir sehr. Ich haette die Anzeichen dieses Mal frueher erkennen muessen, aber ich glaube ich habe die Kurve gekriegt und langsam aber stetig geht’s wieder bergauf.

    Habe durch Zufall deinen Blog gefunden und folge dir jetzt via Bloglovin! LIebe Gruesse in meine alte Heimat!
    Anni

    • Leni
      Autor
      8. Dezember 2017 / 8:49

      Liebe Anni, danke für deinen Kommentar. ♥ wenn man einmal davon betroffen ist/war, kann der Scheiß (sorry, für meine Ausdrucksweise, aber es ist doch so…) immer wieder zurück kommen.
      Ich wünsch dir alles, alles Gute & ganz viel Kraft!!
      Liebe Grüße, Leni

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